Das friedensfähige Deutschland muss erst wieder entdeckt werden
Über zwei friedenspolitische Aufgaben nach 1990
Erschienen in »Soldaten für den Frieden – Frieden war und ist unser Lebensinhalt«, hrsg. von der Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung der DDR e.V. und dem Verband zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR e.V., März 2017, S. 99–101
1. »Ein bisschen Frieden ...«
Wenn Frieden heißt, dass keine Kugeln und Bomben auf dich einhageln, etwa weil in einem gegebenen Land keine Kampfhandlungen staatlicher Armeen stattfinden, dann herrscht in der BRD der feinste, klarste Frieden. Zwar gibt es hierzulande Bundeswehreinsätze im Inneren, und keineswegs nur gegen wirkliche oder vermeintliche Naturkatastrophen, sondern, wie etwa am 3. Oktober 2016, auch gegen allerlei Terrorgefahren, potentiell auch gegen Streiks und mehr. Aber so richtig akut am Ballern ist die Bundeswehr hierzulande offenbar bisher dann doch nicht, und insofern herrscht kein Grund für Aufregung, herrscht also Frieden. Dass sich Alt- und Neonazibanden mit ihrem Verfassungsschutzfilz professionell bewaffnen und vom Oktoberfest-Anschlag 1980 über Brandanschläge auf Asylantenheime seit den 1990er Jahren bis zur NSU-Mordserie völkisch-rassistischen politischen Terror verbreiten, könnte zwar als eine gewisse Einschränkung des Friedens und der "öffentlichen Sicherheit" gedeutet werden. Aber da der Nazi-VS-Filz einmal nicht als staatliche Armee definiert wird und gelegentlich der eine oder andere, der es gar zu toll treibt, dafür auch mal eine Strafe von (nicht-militärischen) Gerichten der BRD erhält, redet auch niemand von einem "Bürgerkrieg von rechts" oder dergleichen, und es herrscht also Frieden. Was Bundeswehr, diverse Polizeieinheiten und der Nazi-VS-Filz im Ausland so treiben, bleibt bei so einer Betrachtung zwar dahingestellt bzw. tunlich ausgeblendet. Aber dass "die da unten" nicht so vernünftig und besonnen sein können wie "wir hier" und es deswegen halt andernorts wilder hergeht, versteht sich hierzulande gern von selbst. Aufrüstung, Rüstungsproduktion, Waffenexporte könnten schließlich zwar als Indizien für gewisse gefährliche Entwicklungen aufgefasst werden, stehen aber auch nicht dem Befund entgegen, dass hier aktuell keine militärischen Auseinandersetzungen stattfinden. Wir können uns daher angesichts einer ja sehr unruhigen Welt beruhigt zurücklehnen: Hier herrscht Frieden.
Dieser Frieden, den wir mit und in der BRD bestenfalls kriegen können, erscheint bei genauer Betrachtung als ein eigenartiger, ja besonderer, höchstens höchst relativer Frieden: eine angespannte Feuerpause, ein zeitlich sehr befristeter Waffenstillstand zwischen Wirtschaftskrisen und faschistischen Gefahren, eine Galgenfrist und bloße Vorbereitungsphase für neue Kriege, ohne jede Aussicht darauf, die Waffen würden niedergelegt und die menschliche Entwicklung endgültig von der Kriegsgeißel befreit.
Man kann diesen Frieden mit einigem Fug und Recht als imperialistischen Grabfrieden deutscher Provenienz bezeichnen. Und wie sehr sich die Friedenskräfte auch anstrengen werden: Mit diesem Staat BRD kann es keinen besseren, keinen sichereren, keinen allgemeineren Frieden geben als den der latenteren oder offeneren Vorbereitung neuer Kriege gegen abhängige Länder und Staaten der kapitalistischen Konkurrenz, keinen anderen Frieden als den täglich weiter zerbröselnden und zerschossenen Waffenstillstand von 1945. So beschrieb es auch Bertolt Brecht 1954: "Die Kapitalisten wollen keinen Krieg. / Sie müssen ihn wollen. / Die deutschen Kapitalisten haben zwei Möglichkeiten in einem Krieg. / 1. Sie verraten Deutschland und liefern es an die USA aus. (Pétain.) / 2. Sie betrügen die USA und setzen sich an die Spitze."
So einen Frieden haben wir in der BRD: Altnazis und Revanchisten haben diesen Staat aufgebaut, der sich bis 1990 in einem permanenten gnadenlosen Wirtschaftskrieg gegen die Deutsche Demokratische Republik befand und die Territorien drei weiterer Staaten unmittelbar bedrohte, der seit 1990 mit militärischen Mitteln Jugoslawien zerstörte und auf Basis seiner Kriegs- und Naziprofite europaweit und weltweit den allgemeinen Wirtschaftskrieg schürt, der anderen europäischen Ländern Aufrüstungsprogramme aufdrückt und zugleich ihre Truppenteile in seine Befehlsgewalt bringt und in dessen Planzentralen die Schubladen so voll von offensiven Revancheplänen für passende Zeiten sind wie seine Fördertöpfe für Vertriebenenverbände und andere völkische Organisationen. Und während auf die Bundesrepublik keine einzige Bombe fällt, die die Relativität des bundesdeutschen Friedens auch den Letzten hier sinnfällig vorzuführen geeignet wäre, stolziert der deutsche Soldatenstiefel durch Weltteile in Ost sowohl als auch West, die die Nazi-Wehrmacht nie gesehen hat.
2. »Sie reden vom Frieden und rüsten zum Krieg«
Nun haben wir alle mehr oder weniger die friedensbeseelten Schwüre westdeutscher Politiker seit 1945 in den Ohren, und der eine oder die andere glaubt diesen Beteuerungen wohl auch noch, denen zufolge z.B. der Zweite Weltkrieg eine missliche Affäre gewesen sein soll, die man doch besser vermieden oder wenigstens etwas geschickter und begrenzter zu führen gehabt hätte. Das ist mal eine offizielle Friedensposition in der BRD: "Nie wieder ungeschickte Angriffskriege!" Bis 1971 hoch im Kurs und Schwange war auch die atemraubend fixe Idee, die Einverleibung der SBZ/DDR und gewisser Territorien Polens, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion würde eine allen wohltuende Befriedung der so rastlos nach Boden und Blut dürstenden revanchistischen BRD mit sich bringen. Westdeutsche Politiker nahmen diese ihre Haupt-Hausaufgabe der Etappe 1949-71 sehr ernst und klopften regelmäßig west-alliierte Regierungstüren ab, ob sich wohl wieder Gestalten fänden, einen Einmarsch der Bundeswehrmacht in diesmal vorerst nur vier souveräne Staaten erneut als friedenssichernde Maßnahme auszugeben oder gar mit Atombombeneinsätzen zu flankieren. Und vor allem bierseligstes Vertrauen in die Friedensfähigkeit des deutschen Imperialismus war es dann auch und wieder und wieder, als die Welt 1990 der BRD das Versprechen abkaufte, "dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird" (siehe "Abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland"). So rechtschaffen, redlich, ritterlich spricht, wer so reichlich Lohn dafür einstreicht – und wer wäre nicht zu noch ganz anderen Lippenbekenntnissen bereit, wenn ihm dafür eine Volkswirtschaft von Weltrang zum nach Belieben Ausweiden zugeschanzt würde? Wenn ihm dafür Raum und Möglichkeit gegeben würde, sich für 40 Jahre Antifaschismus, Antimilitarismus und Entmachtung des deutschen Kapitals auf 100.000 Quadratkilometern rücksichtslos zu rächen? Frieden als wohlfeile Handelsware: Kurze Phrasen für wuchtige Annexionen, das ist ein prima Schnitt.
Die maßgeblich von der BRD aus betriebene Zerschlagung Jugoslawiens folgte dem Fetzen Papier auf den Fuße. Und bei allen ihren militärischen Aktivitäten seit 1990 spreizte sich die BRD wahlweise als "humanitärer Retter" oder als "ehrlicher Makler" und "Friedensmacht Deutschland". Diese altbewährte Tradition imperialistischer Friedensdemagogie, dieses "reden vom Frieden und rüsten zum Krieg", wurde von den ersten Preußenkönigen über Bismarck und Wilhelm auf Hitler, Adenauer, Kohl, Schröder und Merkel weitervererbt und hochkultiviert und findet auch international an Perfidie nicht ihresgleichen. Die Erfahrung zeigt, dass im Kampf gegen neue deutsche Kriege keiner noch so beredten friedenspolitischen Absichtsbekundung, keinem noch so wohlfeilen Angebot der BRD, als "ehrlicher Makler" zu fungieren, getraut werden kann. Die BRD ist nicht friedensfähig.
3. »Friede im Osten«
Wenn Frieden heißt, eine gesellschaftliche Entwicklung beinhaltet nicht die systematische Vorbereitung von Angriffskriegen, Eroberungskriegen, Weltkriegen, dann herrschte in der Deutschen Demokratischen Republik der feinste, klarste Frieden – allerdings ein dem Frieden in und durch die BRD diametral entgegengesetzter.
Der Frieden, für den die Deutsche Demokratische Republik einstand, war seinen Voraussetzungen und Zielen nach das genaue Gegenteil dessen, was in der BRD nur möglich ist: ein allgemeiner Frieden, ein wirklicher Vorschein des Weltfriedens, ein zwar noch bewaffneter Frieden mit aber Aussichten, dereinst die Waffen niederzulegen und die menschlichen Vermögen und Bedürfnisse fürderhin frei von kriegerischen Auseinandersetzungen zu entwickeln.
Aus der Sicht von Menschen aus der Deutschen Demokratischen Republik, aus der Vogelperspektive des gehabten Friedens Marke Warschauer Vertragsstaaten, erscheinen Kriege als reiner Anachronismus, als Zudringlichkeiten von außen, als lästiges Hindernis für die gesellschaftliche Entwicklung. Die Kosten für Ausrüstung, Ausbildung und Unterhalt militärischer Formationen, die Kosten für Grenzbefestigungen und die Kosten für wehrpolitische Bildung werden als im Prinzip vergeudete Posten des gesellschaftlichen Produktionsfonds schmerzlich gespürt. Und wie spaßig auch immer der kameradschaftliche Abend in der NVA ausgefallen sein mag: Es ist im Grunde alles kein Spaß. Dieser Frieden muss halt bewaffnet sein – notgedrungen, unfreiwillig, nicht aus eigenem Antrieb, ohne jegliche offensive Kriegsziele, einzig zur Wahrung seiner selbst.
So ein Frieden war das in der DDR, und für so einen Frieden steht die DDR auch heute und auf immerdar ein: Antifaschisten haben diesen Staat aufgebaut, um den Auftrag der Völker der Welt zu erfüllen und dem Befehl der Anti-Hitler-Koalition entschlossen Folge zu leisten, das Potsdamer Abkommen wenigstens in einem Teil Deutschlands umzusetzen. Gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands zum Hauptkriegstreiber Europas galt es nicht nur, sich zur Wehr zu setzen, sondern auch, sie vor aller Welt anzuzeigen, wie u.a. im "Braunbuch – Kriegs- und Naziverbrecher in der BRD und Westberlin" geschehen. Allein dafür hat die Welt der DDR viel zu verdanken – selbst wenn die DDR nur ein lebloser Riegel vor diesem Staat BRD gewesen wäre. Die verschlagene Bestie des deutschen Eroberungskrieges über 40 Jahre lang politisch und militärisch im Zaum gehalten und regelmäßig ihre aggressive Fratze der Welt offenbart zu haben, ist allein ein unsterbliches Verdienst der DDR im Bunde der Warschauer Vertragsstaaten. Und wenn nicht von Westdeutschland und Westberlin aus Militarismus, Revanchismus, Wirtschaftskrieg und psychologischer Krieg die gesellschaftliche Entwicklung der DDR so massiv beeinträchtigt hätten, hätten auch ihre militärischen Formationen keine Funktionen auszuüben gehabt, wie sie hatten, und die "Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums" wären bedeutend üppiger geflossen, als sie flossen. Die DDR war stets friedenswillig und friedensfähig. Und es war und ist der Staat BRD, der eine friedliche Entwicklung Deutschlands systematisch hintertreibt.
4. »Diese Grenze wurde aufgehoben, damit wir gemeinsam wieder in den Krieg ziehen«
Mit der Annexion der DDR räumte die BRD das Haupthindernis auf ihrem Weg zu neuen deutschen Kriegen auf den Müllhaufen. Die dem Imperialismus aufgezwungene relativ friedliche Koexistenz am deutschen Frontabschnitt des Weltklassenkampfes endete 1990 schlagartig. Zur friedenspolitischen Aufgabe, den deutschen Imperialismus vor aller Welt für die Remilitarisierung und die Förderung nazistischer und ultrarechter Kräfte in Deutschland und Europa zu denunzieren, tritt seither zusätzlich die friedenspolitische Aufgabe, die verbrecherische Annexionspolitik der BRD gegenüber der DDR im Besonderen zu denunzieren: den Raub und die Vernichtung des Volkseigentums der DDR-Bürger, die Deindustrialisierung und Entvölkerung ganzer Landstriche, die Entrechtung und Willkürjustiz im Zeichen des Antikommunismus, die Schleifung und Verhöhnung der antifaschistischen Kultur, die systematische Rekrutierung ostdeutschen Kanonenfutters aus dem Heer der staatlich erzeugten Massenarbeitslosigkeit ... Und es gilt, wieder und wieder daran zu erinnern und zu zeigen, dass eine friedliche gesellschaftliche Entwicklung ohne neuerliche Kriegsvorbereitungen auch in Deutschland sehr wohl möglich ist, wenn nur erst die antifaschistisch-demokratischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, wie es in der Deutschen Demokratischen Republik der Fall war.
Mit dem Verein »Unentdecktes Land e.V.«, mit seinen Aktionen, seiner Bildungsarbeit und seinen Faktensammlungen, hoffen wir, einen den düsteren Gegebenheiten dieser Tage und den daraus entspringenden schwierigen friedenspolitischen Aufgaben entsprechenden Beitrag leisten zu können.
Unentdecktes Land e.V.
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