Rede auf der Protestveranstaltung zum 3. Oktober 2016 in Strausberg

 

 

Genossen, Freunde, Gäste,

 

vorab natürlich vielen Dank, dass uns hier solch Raum für eine Rede gegeben wird. Wir sind gern hier bei euch, haben sofort zugesagt.

 

Seit nunmehr 26 Jahren, an all den 3. Oktobern wurde und wird immer viel gesagt, von uns, von denen, vieles davon weckt Leidenschaft, vieles nicht. Immer jedoch weckt Leidenschaft aber, das, was nicht oder das, was nicht mehr gesagt wird, aber vielleicht an jedem 3. Oktober gesagt werden sollte.

 

Es ist die Eigenschaft der Zeit, die mehr furchtbar als nützlich ist, denn verflucht: Gras wächst wohl letztlich über Alles. Selbst geschichtliche Zäsuren verblassen und sind morgen schon kein Thema mehr. All die Kriege, schier grenzenlose Zerstörung, Millionen Opfer, alles wird irgendwann zur Zahl. Neu ist das nicht, Brecht kam darauf schon lange, bevor wir uns mit 3. Oktobern rumärgern müssen, und beschrieb es weitaus besser mit den Worten:

 

„Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer.“

 

Brechts Gedicht ist eine einzige Warnung, wie wir wissen, die mahnt, ständig den Schleier von den blutigen Fakten zu schlagen und Lehren daraus zu ziehen. Dies nicht zu tun, nützt den Mördern, den Kriegstreibern, die viel zu oft straflos blieben und bleiben und in neuen Kleidern den nächsten Kriegsgang vorbereiten, vergessen machen wollen, was einst geschah, vergessen machen wollen, wer schuld war, wer schuld ist, das ist ihr Geschäft. 

 

Sie sind erfolgreich. In einer unerklärlichen Vergesslichkeit lässt das Volk sie gewähren, wieder und wieder, ein Phänomen, das gerade in deutscher Gegend sein Zuhause gefunden hat.

 

Ich spreche hier und vor allem heute auch vor Frauen und Männern, die einen Staat erbauten, der dahingehend 40 Jahre aus der Reihe tanzte. Einen Staat, der sich dagegen stemmte, dass vergessen wird und in seine Geschichtsbücher und an hunderttausende antifaschistische Mahn- und Gedenkstätte schrieb. was einst geschah, die Schuldigen beim Namen nannte und sie hart bestrafte. Das war neu, so neu, wie die Deutsche Demokratische Republik, die nicht nur neu, sondern auch frech genug war, den Tag der absoluten Niederlage des deutschen Imperialismus zum staatlichen Feiertag zu machen. Doch nicht nur am 8. Mai schlug man dort den Schleier von den blutigen Fakten der deutschen Geschichte, sondern täglich, so wie man täglich dort die Lehren aus ihnen zog. Die Lehren wurden nicht nur Buchstaben in Lehrbüchern und Inschriften auf Gedenktafeln, sie wurden zur durchgeführten totalen Entmachtung des deutsche Kapitals, in den Städten, auf dem Land, wenigstens in den Grenzen der DDR, diese Lehren wurden zur Erfüllung jenes Auftrags, den 1945 die vom deutschen Faschismus überfallenen Völker dem deutschen Volk aufgaben. So wurden die Lehren zur Umsetzung des Potsdamer Abkommens, wenigstens in den Grenzen der DDR, gezogen. Und jene Grenzen wurden nicht nur Striche auf Karten in Atlanten, sondern, wenn es seine musste, waren sie Stahlbetonmauern mit bewaffneten Grenzsoldaten, und wenn das nicht reichte, wurden diese Lehren zur Schlagkraft einer Nationalen Volksarmee, der ersten deutschen Armee, für die man sich nicht mehr in Grund und Boden schämen muss.

 

Genossen, Freunde, Gäste, selbst die Zeit kann nicht so viel Gras wachsen lassen, als dass wir das jemals vergessen, als dass wir jemals euch vergessen würden, euch und auch die vielen, die nicht hier und nicht mehr unter uns sind.Die Geschichte wird euch nicht Recht geben, denn sie hat euch schon lange Recht gegeben. Die Wut der jetzt herrschenden Klasse, die ihr euch mit der DDR auf den Pelz gezogen habt, reicht für noch mal hundert 3. Oktober.

 

Was für ein Grund zum Jubel, was für ein Grund zu feiern, nie klangen die Gläser so laut und schon lange nicht mehr so neu wie am 7. Oktober 1949. Ein Tag zum Feiern, ein Feiertag, der begangen werden muss mit Festen, dass die Tische sich biegen, auch Trauer um die, die ihr Leben für das Land ließen, manch tränenreicher Rückblick wäre erlaubt, so ein Fest – heute nicht, wann anders, wohl in vier Tagen, nicht heute, denn heute ist kein Feiertag. Es ist heute kein Feiertag für uns und kein Feiertag für alle fortschrittlichen Kräfte, in welchen Winkeln der Welt sie auch seien mögen, egal was sie von der DDR halten und gehalten haben. Wie sehr dieser oder jener das bisschen Land zwischen Oder und Elbe revolutionär fand, oder manch anderer ganz revisionistisch, ob man dafür lebte und nur in ihm lebte, spätestens heute ist das alles gleich, denn heute vor 26 Jahren wurde eine Niederlage amtlich, die zu tragen wir nun alle haben.

 

Heute ist der Feiertag der Reaktion, und sie feiert ihn pompös und ausgiebig. Der Tanzboden fürs rauschende Fest, den hat sie sich selbst bereitet, er passt zu ihr. Gefeiert wird der „Tag der deutschen Einheit“ auf der Not, dem Elend, das Kinderarmutsquoten auf dem Papier nur andeuten, besonders im Osten liest man, hier im Beitrittsgebiet, wo einst in einer DDR Kinder Armut nur noch aus den Geschichtsbüchern und den Schautafeln des historischen Museums kannten. Gefeiert wird der sogenannte „Tag der deutschen Einheit“ auch auf den Trümmern einer Arbeit für den Frieden an jenen Werkbänken und Maschinen, die nun in entvölkerten Landstrichen eines einstigen Industriestaates verrosten.

 

Dieser Tag wird gefeiert auch auf den Trümmern einer humanistischen antifaschistischen Kultur, die wie die Gedenkstätte in Ziegenhals ausgelöscht und geschleift ist, der „Tag der deutschen Einheit“ wird auch gefeiert auf den Trümmern einer Wissenschaft, die forschte für und nicht gegen die Menschheit und heute arbeitslos zu Hause hockt, den 3. Oktober feiert man auf den Trümmern der DDR, die es nicht mehr gibt.

 

Doch umso grausamer und bedrohlicher, doch umso tödlicher: die „Berliner Republik“ feiert die Restauration des deutschen Imperialismus auf dem Gebiet der DDR, das ihm 40 Jahre entzogen war, schon nicht mehr nur in deutscher Gegend. Ganz Europa ist unter der ökonomischen Fuchtel des Hegemon BRD, der sich mit seiner EU seine Herrschaftsposition sichert. Griechenland ausgeplündert an den Boden gedrückt, Jugoslawien bombardiert, auch aus deutschen Bombern, wieder.

 

Der Vielvölkerstaat, dessen Partisanen einst ungeachtet ihrer Herkunft den deutschen Faschismus vertrieben, ist zersplittert in deutsche Untertanenstaaten, die so lange interessant waren, wie sie als Deutschlands Spalthebel gegen Jugoslawien taugten. Jetzt darf man dort von der Mafia regiert einen endlosen Tod krepieren. Doch der Jugoslawienkrieg war nur das Vorspiel, heute steht die Bundeswehr, wo die Wehrmacht immer hin wollte, die Hochrüstung zum Angriff läuft auf Hochtouren, der Zugriff auf das Militär anderer europäischer Staaten ist bereits vertraglich abgesichert. So zieht das wieder in die Welt, und jeder deutsche Soldatenstiefel stampft immer auch auf den Fetzen Papier, der Einigungsvertrag heißt und mit Schlangenzungen heute vor 26 Jahren verkündete, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen werde.

 

Wo das Auge hinschaut auf dem Kontinent, die Faschisten heben ihr Haupt, und noch die letzte Nazisau im Nadelstreifen wird in Berlin empfangen, hofiert und gefördert. Riga, Vilnius, Tallinn – überall stinkt der verfaulte Atem dieses neuen alten Großdeutschlands, da, wo Mahnmäler für den Befreiungskampf der Roten Armee in Schutt und Trümmer sinken, ist es zu Hause, wieder, und in Kiew stellt Berlin bereits den Bürgermeister. Täglich fliehen hunderttausende vor Hunger, Not und den Kriegen, die auch und immer mehr deutsche Waffen und deutsche Großmachtpolitik entfachen. Wer es nicht schafft, und es schaffen tausende nicht, wer auf dieser Flucht den bestialischen Tod des Ertrinkens vor den europäischen Außengrenzen stirbt, ist nur ein weiterer Zeuge auch dafür, dass die Bestie zurück ist, in alter Stärke, in altem Auftrag. John Heartfields Hyäne mit dem Ritterkreuz um den Hals schleicht wieder über die Schlachtfelder, der deutsche Imperialismus ist zurück auf der Weltbühne.

 

Man hält uns entgegen, dass es mit der DDR so nicht hätte weitergehen können, Fehler hier und Fehler dort, das ganze Lied der Bürgerrechtsbewegung. Dass man nicht alles sagen, nicht alles schreiben durfte, war Grund für runde Tische und Montagsdemonstrationen, dass man die Freiheit des Einzelnen beschnitt, schien vielen unerträglich. Heute darf jeder alles sagen, jeder alles machen, doch wer Gehör findet für das, was er sagt, und wer in den Knast oder in den Bundestag geht für das, was er macht, bestimmt eine Klasse, der Antifaschismus zuwider und Faschismus eine Option ist. Deswegen sitzen die Faschos nun auch in den Parlamenten, deswegen finanziert der BND Naziterror, haben Linke nichts zu melden in diesem Staat, und die Partei Die Linke steht unter Beobachtung. Eine gleichgeschaltete Presse kippt dazu meinungs- und pressefreiheitliche Schlagzeilen über sogenannte „kriminelle Ausländer“ wie Benzin über Flüchtlingsheime, das Streichholz dazu reichen die Leser.

 

Wo sind all die Bürgerrechtler geblieben, die einst die Ungerechtigkeit der DDR anprangerten? Wer Ungerechtigkeit anprangern möchte, hätte heute keine Pause, aber vielleicht brauchte es eine DDR, in der alles politisch war und von der 1. Klasse bis zum Rentnertreff Thema war, was auf der Welt geschieht, vielleicht brauchte es eine DDR, in der der Kopf frei war von den Sorgen ums Leben und Überleben, um sich einen Kopf zu machen über die Welt. Vielleicht hat dieser sogenannte „Unrechtsstaat“ mehr erreicht beim Hervorbringen mündiger Bürger als der sogenannte „Rechtsstaat“ BRD. Hier, wo nun endlich jeder alles sagen, jeder alles machen kann, bringt Ungerechtigkeit die Wenigsten auf die Straße, diese gehört den Rechten. Letztlich ist zu fragen, wo sie geblieben sind, die Ideale von Perestroika und Glasnost, das Gerede von Presse- und Meinungsfreiheit, es kam wohl unter die Räder, die Räder der Konterrevolution, so wie alles im Osten.

 

Der wohl einzige Mensch auf diesem Erdball, der inmitten dieser Konterrevolution und Selbstzerstörung die DDR-Staatsbürgerschaft beantragte und bekam, der Schriftsteller Ronald Schernikau, fasste in seiner Rede vor dem Schriftstellerverband der DDR die Tragödie der Ossis zusammen, wie es nach ihm keiner mehr zustande brachte:

 

„Meine Damen und Herren, Sie wissen noch nichts von dem Maß an Unterwerfung, die der Westen jedem einzelnen seiner Bewohner abverlangt. Was Sie vorerst begriffen haben: Der Westen ist stark. Sie haben, statt das gute Geschäft Ihrer schlechten Regierung zu fördern, die Feinde der Regierung ins Land geholt. … Wer die Gewerkschaft fordert, wird den Unternehmerverband kriegen. Wer den Videorekorder will, wird die Videofilme kriegen. Wer die Buntheit des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens kriegen. Wer Bananen essen will, muss Schwarze verhungern lassen.“ 

 

Der Schriftstellerverband der DDR, die DDR selbst, überlebten Ronald Schernikau nicht, und auch dieser starb ein Jahr nach dem Staat, dessen Bürger er nun war.

 

Das, was an diesem 3. Oktober 1990 und den Monaten davor, den Jahren danach geschah, sollte unsere Analyse ausrichten, unser Denken, unser Tun. Mit der Zerstörung der DDR-Wirtschaft, die als die größte Zerstörung gesellschaftlichen Reichtums in Friedenszeiten in die Geschichte einging, erfolgte die systematische, grundlegende Zerstörung einer 40 Jahre lang gewachsenen Kultur, das Auslöschen einer weltweit einzigartigen Struktur sozialer Errungenschaften und die nahezu vollständige Ausgrenzung der Forschung, Entwicklung und Wissenschaft der DDR. 

 

All dies geschah in einer Größenordnung, die eine irreparable Brache hinterließ, die ihresgleichen sucht. Nichts durfte überdauern, auch nicht all die Ideen der Leute, die nach einem dritten Weg suchten, einer reformierten DDR, auch nicht all die Wolkenkuckucksheime in den Köpfen der Helden der sogenannten „friedlichen Revolution“, selbst die hunderttausend Eingaben aus dem Osten für eine neue gesamtdeutsche Verfassung landeten dort, wo man Platz gemacht hatte für alles, was DDR war: auf dem Schutt. Die Eroberer aus dem Westen brauchten nun keine runden Tisch mehr als Feigenblatt, die bundesdeutsche Ordnung wurde hergestellt. Und was auch immer, ob Trinkwasser, Strom, Bildung, Medien, Kultur, Nahrung, Medizin, Justiz, Produktion, Stütze, Politik, Verwaltung – entschieden wurde darüber nun nicht mehr im Osten, sondern von nebenan.

 

17 Millionen Menschen wurden, ohne über die Folgen informiert zu werden, eingebürgert, ihr Anspruch auf ihr gewaltiges Eigentum mit einem Federstrich gelöscht. Um es danach zu mehr als 90 Prozent in den Westen zu karren, oder es wie im Wahn und Angst vor Konkurrenz zu vernichten. 

 

Sie, die Leute im Osten, die man doch eben noch „Brüder und Schwestern“ genannt hatte, wurden nun Bürger zweiter Klasse. Weniger Lohn für mehr Arbeitszeit, weniger Rente inkl. Rentenstrafrecht, weniger der ohnehin lächerlichen Stütze usw. usw. Einer der grundlegendsten Standards der bürgerlichen Demokratie, die Gleichheit vor Gericht, für Ostdeutsche gilt er nicht. 

 

Das Absprechen der Existenzberechtigung war immer der Umgang der BRD mit der DDR, bis zuletzt. Für die Lebensläufe der DDR-Bürger wurde dies genau der Maßstab der Maßnahmen um den 3. Oktober 1990. Das Absprechen der Berechtigung zur Existenz, ein Spott auf all das noble geschwollene Gerede von den „Brüdern und Schwestern im Osten, die sich ihre Freiheit erkämpft haben“.

 

Manchmal hört man schon „Unvollendete Wiedervereinigung“, „ungerechte Wiedervereinigung“, „verfehlte Vereinigungspolitik“, und vielleicht bittet man schon nur noch um eine ein klein wenig gerechtere Rentenpolitik, für dieses oder nächstes Jahr. Nach all der Zeit reicht es doch schüchtern zu bemerken: dass man vielleicht hätte nicht dieses oder jenes doch übernehmen können? Vielleicht den Haushaltstag? Wo doch der grüne Pfeil an der Ampel übernommen wurde? Nein? Wir wollten nur nett bitten und mal nachgefragt haben. 

 

Wir wünschten, das Krokodil, das uns verschlang, hätte sich nur vorher die Zähne geputzt und nicht so kräftig zugebissen, so krokodilmäßig gekaut, das wäre nett gewesen, fürwahr.

 

Nein! Genossen, Freunde, liebe Gäste, so nicht! Der Kopf wird aufrecht getragen, auch und gerade am 3. Oktober! Sie haben uns abgewickelt, uns durch den Wolf gedreht, uns die Knochen gebrochen, die Reihen sind nicht lichter geworden, es gibt keine Reihen mehr, wir sind dabei, uns wiederzufinden. Sie reden immer davon, dass die DDR aufgearbeitet wird, nun, wir wollen diesen Aufarbeitern und Schreiberlingen in all ihren antikommunistischen Stuben und Büros tatsächlich nun auch mal was Aufarbeiten und das Kind beim Namen nennen.

 

Denn das Kind hat einen Namen: es heißt Entrechtung, widerrechtlicher Ausverkauf, Raub, es heißt Zerschlagung und Austausch der Elite einer gesamten Gesellschaft, Schleifung einer Kultur, einer antifaschistischen Kunst, es heißt Vernichtung von Arbeitsplätzen und Lebensläufen millionenfach, sein Name ist unendliche Ignoranz gegenüber der anderen Sozialisierung, Beschimpfung und Verhöhnung, durchsät mit der Revanche dafür, es gewagt zu haben, einen anderen Weg zu versuchen als den der BRD. Die Fakten liegen auf den Tischen, stehen in den Bücherregalen, was durchgeführt wurde und täglich durchgeführt wird, ist keine wie auch immer geartete Wiedervereinigung, unterm Strich bleibt eine widerrechtliche Aneignung des Territoriums eines Staates, seines Reichtums, seiner Bevölkerung, selbst das bürgerliche Recht gibt hier nur eine Vokabel her: Annexion!

 

Was tun? Wohl zuerst, dies alles nicht zu ignorieren und wieder zum Alltag überzugehen. Die DDR ist eine Gelegenheit, eine Waffe, eine Unordnung im Osten, die man seit 26 Jahren nicht geordnet bekommt. Die Nazis haben dies erkannt und spielen auf dieser Laute ihre Lügen, erfolgreich, die DDR darf nicht ihren braunen Klauen überlassen werden. Antifaschismus, Humanismus, Antimilitarismus – das war die Karosserie der DDR, ohne sie ist und war sie nicht.

 

Die Widersprüche zwischen Ost und West, der Rückschluss auf 40 Jahre Sozialismus, der täglich am Abendbrottisch im Kleinen geschieht, wenn Eltern ihren Kindern von ihrer Kindheit erzählen, noch viel mehr im Großen macht die DDR zum Thema auf der Straße, in den Wartefluren der Arbeitsämter, am Arbeitsplatz, in der Schulen und Universitäten. Dies ist zu nutzen, es ist kein Ding unter vielen, kein Schnee von gestern. 

 

Ein Recht auf Entschädigung des seit 1990 durch die Annexion der DDR angerichteten Schadens, ein Recht darauf, es sich mit der Einbürgerung noch mal zu überlegen, nun, da man alle Seiten der Medaille kennt, es stände den Leuten im Osten zu. Sie fordern es nicht, doch es wäre chauvinistisch, dächten wir dies nicht immer mit. 

 

Dieser Anschluss, diese Annexion mit ihren fatalen Folgen weltweit, das muss Thema bleiben, darüber ist nicht hinwegzugehen. Die herrschende Klasse weiß dies nur zu gut und fährt auch nach 26 Jahren noch immer antikommunistische Propaganda auf Rekordlevel auf, prügelt auf die DDR, es scheint wohl nötig. Sie ist aktuell, sie bleibt aktuell, der positive Bezug auf sie ist wohl das derzeit radikalste Widerwort gegen die BRD. 

 

An allen Fronten: Antifaschismus, Antimilitarismus, gegen den Sozialabbau, für die Arbeiterrechte und die Gewerkschaften – die DDR liefert Argumente, ist ein Argument.

 

Wir wollen dies alles probieren, uns daran versuchen, euch um Rat fragen, Alles von euch erfahren und zusammen kämpfen, jung und alt. Zu verteidigen ist das, was uns an zarten jungen Trieben aus der Asche der DDR erwächst wie auch solch Treffen hier, an denen wir uns zusammenfinden. Zu verteidigen ist alles, was uns geblieben ist, das, was die DDR an Spuren zurück ließ, das, was die herrschende Klasse noch nicht abgerissen hat, auch weil wir sie daran hindern. Zu verteidigen ist alles, was DDR heute ist und an sie erinnert, das, was die Oberen jeden Tag in ihren Medien verhetzen. Zu verteidigen sind auch die linken Massenorganisationen und Publikationen im Osten, die es ohne DDR nicht gäbe und die heute ihre Fahne halten, auch im Sturm, so wie das OKV, die Junge Welt und viele andere, Kinder der DDR. Es ist auch die Partei Die Linke, die eben keine Partei wie die anderen ist, die eben das ist, was aus der Traditionslinie SPD – USPD – KPD – SED – PDS in die heutige Zeit ragt, die herrschende Klasse hätte diese Linie nur zu gern beendet, wie sie sie im Westen mit dem Verbot der KPD beendet hat. Dies wurde mit der PDS/Partei die Linke nicht geschafft.

 

Die Bevölkerung Ostdeutschland hat es nicht zugelassen und wählt sie bis heute massenhaft, entgegen all den Behauptungen vom „rechten Osten“. Auch das ist eine Erbschaft aus 40 Jahren DDR. Ich kann den Schaum vorm Mund der Reaktion nur erahnen, dass sie die PDS nicht totgekriegt haben, sie und ihre antifaschistische Friedensposition. Jede Wählerstimme für die Linke ist eine schallende Ohrfeige ins Gesicht derer, die die DDR von der Landkarte gelöscht haben. Das, was die Partei Die Linke zu einer besonderen Partei macht, ihre antifaschistische Friedensposition, ihre Verankerung im Osten, ist zu verteidigen gegen ihre Feinde – und diese Feinde stehen nicht nur von außen gegen sie, sondern auch von innen. Allen, die sich täglich gegen diese Feinde stemmen, wünschen wir alle Kraft und alles Gute!

 

Doch die DDR und das Ringen um ihre Position in der Geschichte gehört an die Leute auf der Straße, an die, die sie aufbauten, in ihr lebten, in ihr liebten, Kinder bekamen, Kinder waren, und sich auch über sie ärgerten, weil es manchmal nicht so gut lief. Die DDR und alles, was dazu gehört, ist das Ding der Leute im Osten, da wollen und müssen wir ansetzen. Wir wollen die Bücher von der DDR und ihrer Annexion aufschlagen, nicht länger in der Kammer, sondern auf der Straße, z.B. mit einer großen Ausstellung über das Unentdeckte Land. Die Kunde von dem Land DDR wartet an jeder Ecke entdeckt zu werden, liegt manchmal mitten unübersehbar auf der Straße, wird jeden Tag an den Strand geworfen, durch die Widersprüche, die sich zuspitzen. An den Strand geworfen wird der Rückschluss zur DDR, der immer ein Blick in die Zukunft ist. Mit jeder Welle wird es ans Ufer geschleudert, mal laut, mal leise, und dann zurück in die Dünung, und von vorn. In dieser Brandung, Genossen, Freunde, Gäste, wächst kein Gras.

 

Unentdecktes Land e.V.

Strausberg, 3. Oktober 2016


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